Flow für den Tanz des Lebens
Von Beruf Office Managerin im sozialen Bereich, schwang die gebürtige Lustenauerin mit spanischen Wurzeln früher das Tanzbein semi-professionell als Flamenco-Tänzerin. Der Tanz war ihr Ausgleich zum Berufsalltag, der von viel Kopfarbeit geprägt ist, brachte Leichtigkeit in ihr Leben. Bald aber wurde daraus mehr: Den Tanz neu erfuhr die heute 52-Jährige vor gut zehn Jahren, als sie die Diagnose Brustkrebs erhielt.
Evelyns Tanz mit dem Tod
„Tanze, als ob es das letzte Mal wäre! Gib alles!“: Ein Satz, den Evelyn oft im Training gehört hatte, wurde für sie schnell bittere Realität. Sie kämpfte - und besiegte den Krebs. In der REHA schließlich begegnete sie ihm wieder, dem Tanz und seiner heilenden Wirkung: „Dort durfte ich die Tanztherapie kennenlernen. Und was soll ich sagen? Es ist, als ob mir ein alter, bekannter Freund begegnet ist. Tanz ist meine Sprache“, erzählt die leidenschaftliche Motorradfahrerin.
„Weitergeben, was mich stärkte“
Heute ist Evelyn ausgebildete Tanz- und Bewegungstrainerin und leitet eine Tanzgruppe. Was sie auf ihrem Weg stärkte, ihr im Tanz mit dem Tod Mut machte, sie nicht aufgeben ließ, das will sie heute weitergeben. Und andere darin bestärken, für sich zu kämpfen, für sich einzustehen.
Und zwar jene, die von Kindesbeinen nicht unbedingt auf der Sonnenseite des Lebens standen - wie Mariam und Nora*. Die beiden fanden, als Ergänzung zu ihren familiären Wurzeln, im Kinderdorf Kronhalde in einer Familiären Wohngruppe Halt und Geborgenheit als ein Leben zuhause nicht mehr möglich war. Tanzen könnte den beiden bewegungsfreudigen Mädchen guttun und sie stärken, meinte die Dorfleitung - und kam auf Evelyn zu.
Seit gut eineinhalb Jahren trifft sie sich nunmehr einmal wöchentlich mit den beiden. Einfach sein. Ohne Vorgabe, ohne Ziel, ohne Zwang, ohne Bewertung. Kein Müssen gibt den Rahmen für ihr wöchentliches Beisammensein vor, das von integrativer Tanz- und Bewegungsarbeit geprägt ist.
„Im persönlichen Kontakt
mit Kindern, die nicht un-
bedingt auf der Sonnen-
seite des Lebens standen,
wurde mir eines schnell
bewusst: Kinder brauchen
mehr als Essen und ein
Dach über dem Kopf,
um später ihren Weg
gehen zu können.“
EVELYN
Der Körper als Werkzeug
Integrativ bedeutet dabei nichts anders, als dass nicht nur mit Tanz oder Bewegung gearbeitet wird: Alle erdenklichen Künste wie Malen oder Arbeiten mit Ton werden in den Prozess miteinbezogen. Denn ums Tanzen, darum geht es im Grunde gar nicht: „Tanz, Bewegung und kreatives Arbeiten dienen als Werkzeug, um die Kanäle zu öffnen, von der Seele zum Körper und umgekehrt.“
Um die innere Bewegung geht es also. Und um den Körper als Ausdruck der Seele. So manche Redensart kommt uns dabei in den Sinn, die das Zusammenspiel von Körper und Psyche zum Ausdruck bringt: wir verlieren die Haltung, wir sind aus dem Gleichgewicht - um nur zwei Beispiele zu nennen. Wer sprichwörtlich „geknickt“ ist, kommt im wahrsten Sinne des Wortes oft sehr gebeugt daher. „Kopf hoch!“, würden wir einem solchen Menschen am liebsten zurufen.
„Kopf hoch, nur Mut“, sagt der Körper zur Seele
Ebendarum dreht sich alles bei der integrativen Tanz- und Bewegungsarbeit: um die Sichtbarmachung und Bewusstwerdung, wie es einem geht, jetzt, in diesem Augenblick. Sich inmitten der Hektik des Alltags im Hier und Jetzt einfach zu spüren, nachzufühlen, wie es tief drinnen aussieht. Und darum, diesen Zustand, wenn nötig und möglich, zu verändern. Leidet die Psyche, kann sich das auf die körperliche Gesundheit auswirken. Der Körper wiederum kann Gefühle regulieren. Studien etwa zeigen, in die Höhe zu springen, hebt die Laune: „Wenn mit dem Körper gearbeitet wird, schickt dieser Botschaften an die Seele, die ihr sagen: ´Ich bin aufrecht. Ich kann den Kopf hoch halten´“, so Evelyn. „Kopf hoch, nur Mut“, sagt der Körper zur Seele. Und die Seele folgt ihm nach.
Selbst das Nichtbewegen oder sich nicht bewegen zu wollen, ist dabei Teil des Prozesses. Denn: „Wir nehmen, was da und in diesem Moment möglich ist. Das betrifft nicht nur Materialien. Sondern auch das, was in uns möglich ist.“
„Tanzen ist immer nur eine
Ausrede für das, was eigent-
lich passiert: Wir zeigen uns,
oder eben nicht. Wir sehen
uns, können hinschauen, oder
eben nicht. Wir können Mut
haben, wahrhaftig zu sein,
oder eben nicht. Tanzen
ist der Spiegel, das Brenn-
glas, in dem wir uns und
andere finden können.
Es geht nur darum, sich
für diesen Schritt zu
entscheiden.“
EVELYN
Maskenarbeit und der Tanz mit der Mask
„Wie letzte Woche erst: Niemand wollte tanzen. Also saßen wir bei strahlendem Sonnenschein auf einer Picknickdecke im Schatten eines Baumes und haben Masken bemalt. Und zwar ganz nachdem, was gerade aus uns rausfließt“, so die Lustenauerin.
Und erzählt weiter: „Es war sehr entspannt. Entsprechend schön und bunt sind die Masken geworden. Vielleicht tragen wir sie beim nächsten Mal während des Tanzens, um zu sehen, wie es einem geht, wenn man die Perspektive wechselt und die Maske des jeweils anderen trägt. Zugleich ist sie Schutz und ermöglicht es uns, in andere Rollen zu schlüpfen oder auch Rollen in uns zu entdecken. Durch die Maske ist man noch freier. Vielleicht aber malen wir auch einfach weitere Masken. Wir werden sehen.“
„Es ist schön, weiterzugeben,
was mich gestärkt hat und
anderen so vielleicht ein
bisschen Mut und Kraft für
ihren eigenen Lebenstanz
mit auf den Weg zu geben.“
EVELYN
Weiterführende Links
„Tanzereien“: weiter zu Evelyns Website »
„Tanzereien“ auf Facebook »
* Namen geändert
Fotos: privat
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