16/11/2010 – Geschwister: Vertraute und Rivalen
„Wertvolle Kinder“: DDr. Hartmut Kasten räumte mit manchem Klischee auf.
Die Verknüpfung der Platzierung in der Geschwisterreihe mit spezifischen
Charaktereigenschaften ist uralt – und mittlerweile auf dem Friedhof der
Forschung begraben, so der klinische Psychologe, Psychotherapeut und
Frühpädagoge Hartmut Kasten, der im Rahmen der Reihe „Wertvolle Kinder“ im
Terminal V von Hefel Wohnbau in Lauterach referierte. „Eltern verzichten in
ihrer Erziehung zunehmend auf Etikettierungen und erkennen Kinder in ihrer
Individualität. Damit spielt der Rangplatz der Geburt für bestimmte
Persönlichkeitsmerkmale keine Rolle mehr.“ Verschwindend gering sind laut dem
Status quo der Forschung auch die Unterschiede zwischen Geschwister- und
Einzelkindern, groß sei jedoch der Einfluss von Peer Groups bereits im
Kindergarten.
Jeder ist seines eigenen Charakters
Schmied
Klischeehafte Zuschreibungen verlieren in unserer Leistungs- und
Informationsgesellschaft an Bedeutung. Wertewandel, Erziehung zum Selbstwert
und zu Selbstverwirklichung bringen auch das Bemühen der Eltern mit sich, ihre
Kinder gerecht, wenn auch nicht gleich zu behandeln. „Gleich behandeln geht
nicht“, konstatierte Kasten. „Kinder sind allein schon aufgrund ihres Alters
und Geschlechts verschieden. Es geht darum, hinzuhören, was in Kindern steckt,
mit Augenmaß versuchen gerecht zu sein.“
Geschwisterbeziehungen sind immer
ambivalent
Sie sind geprägt von positiven wie negativen Gefühlen, die gleichzeitig
vorhanden sind. Diese Zwiespältigkeit wirke stärker bei Geschlechtsgleichheit
und geringem Altersabstand der Geschwisterkinder. Ideal sei, so der
Geschwisterforscher, ein Altersabstand von drei Jahren. „Positiv ist die Nähe
und Vertrautheit von Geschwistern. Neid, Eifersucht, gar Hass ist die dunkle
Seite in Geschwisterbeziehungen, die aus permanemtem Vergleichen resultiert.“ Offenheit,
Ehrlichkeit, als Eltern die Antennen schärfen, wenn ein Kind dauerhaft eifert
und sich gegebenenfalls Hilfe holen – der Experte rät dazu, das negative
Potenzial nicht unter den Teppich zu kehren. „Sonst kommt es irgendwann zur
explosionsartigen Entladung.“
Geschwister haben füreinander da zu sein
Diese ungeschriebene Erwartung ist der Kitt, der Geschwisterbeziehungen
zusammenhält. Angesichts sinkender Geburtenzahlen – 40% der österreichischen
Haushalte sind mittlerweile kinderlos – gewinnen die schicksalshaften
Geschwisterbeziehungen an Bedeutung. „Sie sind ein kostbares Gut, das gepflegt
werden muss.“ Zum Abschluss richtete Kasten noch den pädagogischen Zeigefinger an
die anwesenden Eltern: „Tun Sie von Anfang an das Ihre, damit Ihre Kinder eine Versöhnungs-
und Streitkultur und damit essentielle Soft Skills fürs Leben entwickeln
können.“
Buchtipp: Hartmut Kasten: „Geschwister – Vorbilder, Vertraute, Rivalen“