Ganze Kerle können mehr
„Wertvolle Kinder“: Über neue Väter und Männer auf Identitätssuche.
Männer sind heute laut dem Kölner Sozialwissenschaftler und Journalisten Thomas Gesterkamp auf Identitätssuche. Zusehends verblasse ihre Rolle als Deuter der Welt, als Beschützer und Ernährer, die besonders in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die männliche Selbstdefinition prägte.
Väter: Praktikanten des Privaten
„Väter waren als Vollernährer familienfern, Praktikanten des Privaten, Zaungäste in der eigenen Familie“, so Gesterkamp in der Reihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs. Die weibliche Bildungsexpansion und die Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse würden zu einer Erosion dieser Ernährer-Rolle und auch zu einer „Krise der Kerle“ führen. Männer wollen zwar „aktive Väter“ sein, dieser Anspruch kollidiere aber mit Ansprüchen seitens der Wirtschaft und sich hartnäckig haltenden Zuschreibungen, was ein „echter Mann“ zu leisten habe.
Kurze Vollzeit für beide Geschlechter
So fänden sich Männer im Bild vom „Teilzeit-Mann“ nur bedingt wieder. „Ich plädiere für kurze Vollzeit für beide Geschlechter“, argumentierte Gesterkamp und brachte damit auch Fragen nach der Vereinbarkeit von Job und Familie aufs Tapet. „Nach wie vor wünschen sich viele Unternehmen allerdings den Vollzeitmann, der immer verfügbar ist.“ Dennoch schwappt die „Papa-Welle“ schon recht hoch: Immerhin sind heute laut Gesterkamp 95 Prozent der Väter bei der Geburt ihrer Kinder dabei, 33 Prozent der deutschen Väter gehen in Elternzeit und sieben Prozent davon nehmen mehr als zwei Partnermonate.
Vom Assistenten zum Teilhaber
Väter sind fürsorglicher und weit mehr ins Familienleben inkludiert als noch vor wenigen Jahren. Ihre Bedeutung gerade auch in der frühen Kindheit ist unbestritten. Diese Entwicklung „vom Assistenten zum Teilhaber“ und damit auch zu einem neuen Selbstbewusstsein der Männer würde jedoch nicht von allen Frauen mitgetragen. Unter dem Begriff des „Maternal gate keeping“ werden „weibliche Torwächter“ beschrieben, die sich die Sorge um den Nachwuchs nicht aus der Hand nehmen lassen. „Manche Probleme in den Geschlechterarrangements müssten und könnten eher die Frauen bewältigen“, meint der Kölner Autor und Pädagoge. „Neue Väter brauchen auch neue Mütter“, fordert Gesterkamp mit einem Seitenblick auf „Übermütter“, die klammheimlich als Komplizinnen der traditionellen Arbeitsteilung fungieren würden.
„Deppen-Rolle“ und Dinosaurier-Dads
Dennoch: Der Weg für junge Männer führe unweigerlich „raus aus der Deppen-Rolle rein in die Rolle als ernsthafter Erziehungspartner“. Stolpersteine inklusive, denn so mancher „Dinosaurier-Dad“ in Führungsposition sehe die jüngeren Kollegen weit lieber in der klassischen Ernährer- als der neuen Vater-Rolle. Eine neue, väterbewusste Personalpolitik sei gefragt, die Männer als „ganzen Menschen“ statt „reinen Arbeitsmann“ sehe.
Aktive Selbstinszenierung der neuen Vaterrolle
„Männer haben eindimensional und nicht vollständig gelebt“, stellt Thomas Gesterkamp fest. „Sie brauchen neue Vorbilder, die sich selbst als aktive, gute Väter definieren.“ Die Zeiten der Männerwitze seien passé und angemessene Formen von Erwerbsteilung und Vereinbarkeit gefragt. Damit Männer ihre neue Väterlichkeit auch leben können, benötige es ein Aufbrechen der Norm der Vollzeitbeschäftigung, völlig andere Arbeitszeitstandards und mehr Flexibilität.
Autorin: Christine Flatz-Posch
Die Vortragsreihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs wird in Kooperation mit dem ORF Vorarlberg und Russmedia durchgeführt und vorwiegend vom Land Vorarlberg/ Fachbereich Kinder- und Jugend finanziert. Die nächsten Termine und Vorträge zum Nachhören und -lesen