Geschwister haben's gut
Familienbande fürs Leben: Mit Geschwistern aufzuwachsen bringt viele Vorteile.
Eins, zwei oder drei? Paare, die sich dafür entscheiden, ihrem ersten Kind weitere folgen zu lassen, tun laut der Kinderpsychotherapeutin Ines Brock gut daran. Die Vortragende in der Reihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs ließ keine Zweifel offen: „Ich würde Eltern immer dazu raten, sich mit einem zweiten Kind zu beschenken.“
Die Älteren: Vorbilder und Pioniere
Die BesucherInnen des Vortrags haben diese Entscheidung bereits getroffen, ging es doch um die Auswirkungen durch die Geburt eines Geschwisterchens. Sie durften dann auch viel Positives hören, wie ihre Kinder vom Aufwachsen mit Gleichaltrigen profitieren. Vor allem die jüngeren seien deutlich im Plus, haben sie doch nun schon Routiniers als Eltern, die im Umgang mit ihrem Nachwuchs gelassener und sicherer sind. Das Aufwachsen mit Geschwistern bringt laut Brock auch sonst viele Vorteile: Die Kleinen würden Frustrationstoleranz, Konfliktlösungsstrategien und durch Nachahmung und gegenseitigen Austausch von Fähigkeiten weit mehr und schneller als von den Eltern lernen. Zudem seien sie auch besser gegen Allergien geschützt. „Weil’s nicht mehr so sauber ist“, so die Ausbildnerin. Auch die Großen könnten viel fürs Leben herausholen: Verantwortung zu übernehmen beispielsweise, Solidarität, Rücksichtnahme und Empathie.
Mit einer Bande leben
Eltern ermögliche das Familienleben mit einer „Bande“ Raum für sich selbst, denn Kinder verbringen mehr Zeit mit den Geschwistern als den Eltern. „Geschwister stehen weniger im Fokus der Eltern und können sich so ihre eigene, kleine Kinderwelt schaffen.“ Auch würden Kinder unter sich deutlich konfliktfreier miteinander umgehen. „Kaum sind die Eltern da, wird um deren Aufmerksamkeit gebuhlt.“ Eltern sollten in jedem Fall nicht darauf vergessen, ihre Partnerschaft zu pflegen. „Mütter und Väter sind nicht nur Zuwendungsgeber für ihre Kinder, sondern auch ein Paar.“
Nicht gleich, aber gerecht
Immer sei die Qualität einer Geschwisterbeziehung davon abhängig, wie Eltern mit ihren Kindern umgehen. Dabei könne man „die Idealität von Gleichbehandlung wegschmeißen“. „Jedes Kind ist anders, hat ein eigenes Temperament und eigene Talente.“ Wichtig ist aber Gerechtigkeit in der Zuwendung“, betonte die Psychotherapeutin. Wenig begeistert ist Brock von der psychoanalytisch geprägten Annahme einer „Entthronung“ der Erstgeborenen. Demnach sei die Geschwisterbeziehung zwangsläufig rivalisierend, da die Großen ihre Position als Nummer eins bei den Eltern verlieren würden – mit traumatischen Folgen. „Keineswegs“, ist Brock überzeugt. „Die Großen behandeln ihr neues Geschwisterchen wie ein kleines Tier – sie heben ihre Stimme, sind fürsorglich, einfühlsam und gut in der Lage, ihre eigenen Bedürfnisse eine Zeit lang zurückzustellen.“ Auch eine durch die Geburt eines neuen Babys ausgelöste „Regression“ des/der Älteren – eine Rückwärtsbewegung in der Entwicklung also – stellt Brock in Frage. „Wir beobachten vielmehr Faszination und Neugier des größeren Kindes, Baby zu spielen – mit allem was dazu gehört.“
Identifikation mit den Eltern
Es erstaunt auch nicht, dass das Familienklima und der Umgang der Eltern miteinander die Beziehung der Geschwister maßgeblich prägen. „Wenn Eltern sehr affektiv sind und lautstark streiten, müssen sie sich nicht wundern, wenn ihre Kinder dies auch tun. Vater und Mutter sind Identifikationsobjekte für Bruder und Schwester.“ Handlungsbedarf bestehe auf jeden Fall, wenn es zu Verletzungen des Babys durch das Geschwisterkind kommt. „Da muss ich mich als Eltern schon fragen, was ich falsch mache.“
Wichtige Rolle der Papas
Nicht zuletzt biete das Baby und sein Bedarf an Betreuung und Aufmerksamkeit durch die Mutter Platz für eine intensivere Beziehung zum Vater. Überhaupt würden Papas nach der Geburt eine wichtige Rolle für ihr „großes“ Kind spielen. „Es ist auch eine Freiheit, die das Kind nun hat, das sich mehr dem Vater zuwenden kann.“
Von Pseudozwillingen und anderen Geschwistersachen
Zum Abschluss sprach die Lehrbeauftragte dann noch die Frage des viel diskutierten optimalen Abstands an: drei Jahre, so würden die Experten meinen. Sieben Jahre und mehr bringe viel vom Einzelkindphänomen mit sich. Kinder, die altersmäßig 18 Monate oder enger beieinander liegen, würden hingegen oft als „Pseudozwillinge“ aufwachsen: „Das ältere Kind wartet in der Entwicklung, bis das jüngere nachgekommen ist“, so Brock. Unabhängig vom Geschlecht oder Alter der Kinder: „Wenn man die Liebe teilt, verdoppelt sie sich“, gab die Expertin den Anwesenden – diesmal viele mit Babybauch – mit auf ihren Weg ins wunderbare Abenteuer mit mehreren Kindern.
Autorin: Christine Flatz-Posch