13/10/2010 – Born to be wild
„Wertvolle Kinder“: Der Evolutionsmediziner Herbert Renz-Polster lieferte schlüssige Antworten auf brennende Fragen im „Kampf ums Kind“.
Kann Nähe verwöhnen?
Gerade beim Thema Schlafen befürchten viele Eltern, ihr Kind durch zuviel Nähe zu verwöhnen. „Nachts die Nähe von vertrauten Erwachsenen zu suchen ist Teil des Überlebensprogramms unserer Kinder. Sie können nicht wissen, dass wir im Nebenzimmer mit dem Ohr am Babyphon kleben.“ Von Natur aus seien Mutter und Kleinkind als Schlafpartner angelegt. „Bei einer stillenden Mutter verlaufen die Schlafphasen synchron mit ihrem Kind. Sie erlebt den Schlaf als erholsam, obwohl sie mehrmals in der Nacht stillt“, erläuterte der Kinderarzt einem aufmerksamen Publikum. Nähe ist laut Renz-Polster eine unabdingbare Entwicklungsbedingung. „Sie schafft eine sichere Bindung und ist Lernplattform für den Umgang zwischen Erwachsenen und Kindern.“
Schadet zuviel Tragen?
Rund um den Erdball werden Kinder getragen. „Bei uns steht das Tragen der Babys in dem schlechten Ruf, orthopädische Probleme zu verursachen. Da stellt sich dann doch die Frage, warum gerade in unserer Generation, die im Wägelchen geschoben wurde, Rückenprobleme grassieren", spricht sich Renz-Polster für das Tragen von Babys aus. „Tragen ist eine aktive Angelegenheit, an der sich Kinder stark beteiligen."
Warum wollen Kinder Süßes?
Kinder sind von der Evolution so angelegt, Süßes zu mögen. „Früher landeten sie mit diesem Instinkt bei den reifen Erdbeeren, heute beim Süßigkeiten-Sondermüll im Supermarkt.“ Aus Sicht der Evolution kann auch die Ablehnung von neuen Speisen und Gemüse erklärt werden. „Früher enthielt gerade grünes Gemüse viele Bitterstoffe und war für Kinder geradezu gesundheitsgefährlich. Eine Jahrhunderte lange Kultivierung hat dies verändert, die Angst vor Neuem und Grünem ist geblieben.“ Was also machen, wenn das Kind alles Gesunde kategorisch ablehnt? „Zehn, fünfzehn Mal in kleinen Mengen anbieten – und hoffen, dass das nützt.“
Wie werden Kinder selbstständig?
Die zentrale Frage laute: Wie werden Kinder selbstständig, sozial kompetent, unabhängig? Vermehrt sollte das Augenmerk auf altersgemischte Kindergruppen gelegt werden, gerade angesichts der Tatsache, dass informelle Spielgruppen zunehmend verschwinden. „Kinder müssen sich ihren eigenen Reim aufs Leben machen. Teilen, Fairness, Empathie passieren auf Augenhöhe, müssen erlebt werden“, so Renz-Polster, der weniger Anleitung durch Erwachsene, dafür mehr Möglichkeiten für Erfahrung der Kinder untereinander fordert.
Was bringt Kinder erfolgreich durchs Leben?
„Die Welt gehört jenen, die sich in Gruppen einbringen können, die Widerstandskraft haben und nicht beim ersten Sturm umfallen.“ Gefragt sei soziale Komeptenz, während formale Bildung an Bedeutung verliere. Diese würden Kinder vor allem im freien Spiel entwickeln. „Freies Spiel ist Entwicklungsspiel und sollte in Kindergärten selbstverständlich sein.“ Dann könnten sie als „kreative Unternehmen“ fungieren, die jene Umgebung bietet, die Kindern gut tut.
Buchtipp: Herbert Renz-Polster: „Kinder verstehen – Born to be wild: Wie die Evolution unsere Kinder prägt“, Kösel Verlag
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