Vater sein: Gut genug reicht
„Wertvolle Kinder“: Vater sein kann Mann nicht lernen – schon gar nicht von den Müttern.
„Ich war anfänglich überhaupt kein guter Vater.“ Mathias Voelchert, gelernter Betriebswirt, Supervisor und Autor, nahm in der Reihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs kein Blatt vor den Mund. „Klägliches Scheitern gehört zum Vatersein dazu“, so der Leiter der Familienwerkstatt „familylab.de“ und Vater zweier erwachsener Kinder. Trotz Champions League bestand das Publikum gut zur Hälfte aus Männern, die mehr über den Balanceakt „Vater sein zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ erfahren wollten.
Ein glückliches Kind hat glückliche Eltern
„Ein guter Vater ist einer, der sich auf sein Kind einlässt, der nicht definiert, wie es werden soll, sondern schaut, wie es ist“, konstatierte Voelchert. Dabei könne man das Vatersein nicht lernen – schon gar nicht von den Müttern. „Man muss es einfach tun, mit den Kindern zusammenleben, Dinge mit ihnen unternehmen, die auch einem selbst Spaß machen, ein Baumhaus bauen, kicken, sich freuen an und mit den Kindern.“ Im familiären Zusammenleben elementar sei darüber hinaus, als Vater und Mutter gut auf sich zu schauen. „Ein glückliches Kind ist ein Kind, das glückliche Eltern hat.“ Viel zu viel selbst auferlegter Druck und eine Perspektive, die die Kinder nicht aus dem Blick lässt, stehe dem entgehen. „Nicht die Kinder, sondern die Eltern als Paar sollten im Zentrum der Familie stehen, die Kinder laufen mit.“ Heute sei oft alle Aufmerksamkeit auf das Kind gerichtet – Riesenshows und Bespaßungsprogramme inklusive.
Verzicht auf Schuldzuweisungen
Ein gelingendes Zusammenspiel zwischen Vater und Mutter setze die Bereitschaft voraus, Kompromisse einzugehen, auf Schuldzuweisungen, die nur ins Leere gehen, zu verzichten und etwas Neues zu schaffen. „Schuldzuweisungen tun keinem gut. Wir alle bringen einen Rucksack voller Überzeugungen, Leitsätze und Familienregeln mit. Es macht keinen Sinn, sich darüber zu streiten, welche die Richtigen sind.“ Beziehungen würden dann auseinander gehen, wenn Wachstum nicht möglich sei, „wenn jeder einzelne zu wenig für sich tut, sich über die Jahre verliert“. Vätern rät Voelchert, zu hinterfragen, „was mich stärkt und was mich schwächt“ und immer wieder den Schritt aus dem Alltagstohuwabohu zu machen. „Selbst die Batterien aufladen und den anderen dabei unterstützen, gut für sich zu sorgen“ sei das Um und Auf einer lebendigen Partnerschaft, die individuelles Wachsen ermögliche.
Eltern müssen führen
Eltern müssen ein Team sein und in der Familie eine „gute Führung“ übernehmen. „Kinder wollen ihre Eltern groß nicht gleich – als Erwachsene, die sich nicht anbiedern.“ Dabei sei es ein „neuer Prozess, dass Männer in dieser Intensität an Familie beteiligt sein wollen, sich mit ihrem Vatersein auseinandersetzen“. Zwar wollen die meisten Männer heute in jedem Fall anders als ihr eigener Vater sein, eine taugliche „Väter-Kultur“ gebe es jedoch nicht und nur wenige gute Väter-Vorbilder. „Mann muss sich heute als Vater neu definieren, die Beziehung zu Partner und Kind immer wieder neu maßschneidern.“ Es gehe um Werte: „Wofür stehe ich, was ist mir wichtig?“
Biegen oder Brechen?
Erziehung wirkt zwischen den Zeilen, bezog sich Voelchert mehr als einmal auf den dänischen Familientherapeuten Jesper Juul. „Erziehung ist das, was wir vorleben – als Individuum, als Paar, als Team: „Wir müssen einfach zusammenleben und es liegt an uns Eltern, etwas zu verändern, damit sich beim Kind etwas tut.“ Mit Biegen und Brechen laufe nichts, ganz im Gegenteil: „Das Beste, was wir tun können, ist das Kind so nehmen wie es ist, und herausfinden, was es von mir braucht.“ Dies erfordere weit mehr Offenheit als noch eine Vätergeneration zuvor und die Verabschiedung von manchem vermeintlichen Idealbild. Reicht es dabei, als Vater „gut genug“ zu sein? Voelcher meint: Ja! Und rät: „Das weitermachen, was funktioniert, und sein lassen, was nicht hinhaut.“
Kinder sind kompetent
Erst einmal sollte sich jeder Vater klar werden, was für ihn gilt: „Schaffe ich das Kind oder entwickelt es sich im Wesentlichen selbst?“ Voelcherts Haltung ist eine eindeutige: Kinder sind kompetent und brauchen Eltern, die neugierig darauf sind, ihre Kinder in ihrer Persönlichkeit und Einzigartigkeit kennenzulernen. Und dann zu staunen . . .
Autorin: Christine Flatz-Posch