Fatima Spar: „Ich wollte sein wie alle anderen“
Fatima Spar, 1977 als Nihal Sentürk in Hohenems geboren, ist in Lustenau aufgewachsen. Sie lernte ab dem elften Lebensjahr Gitarre, seit sie 13 ist, beschäftigt sie sich mit Jazzgesang. Nach der Matura am BORG Dornbirn Schoren studierte sie Musik- und Theaterwissenschaften, später Mode- und Bekleidungstechnik in Wien, brach das Studium jedoch ab, um sich wieder der Musik zuzuwenden. 2004 gründete sie die Band „Fatima Spar & The Freedom Fries“, mit der sie rund um den Globus auftritt. Fatima Spar schreibt ihre Songs in türkischer, englischer und deutscher Sprache. Sie lebt in Wien.
Mein Vater ist 1970 als einer der ersten Stickerei-Gastarbeiter nach Lustenau gekommen, meine Mutter folgte zwei Jahre später nach. Meine Mutter ist in Istanbul aufgewachsen, mein Vater stammt aus einem kleinen Dorf am Schwarzen Meer. Ich habe zwei ältere Geschwister. Meine Eltern arbeiteten Schicht im selben Stickerei- Betrieb. Beide haben irrsinnig viel gearbeitet, meine Mutter auch während der Schwangerschaft bis zu 15 Stunden täglich. Als ich auf die Welt kam, war ich mit einer schwarzen Schicht überzogen – der Arzt dachte erst, meine Mutter wäre Alkoholikerin, angeblich kam es aber vom immensen Schwarzteekonsum meiner Mutter.
Ich bin in einem herrlichen alten Haus im Hasenfeld aufgewachsen. Bei uns wurde viel geheizt, es war immer warm, was auch die Nachbarskinder mochten, die bei uns ein- und ausgingen. Wir hatten in manchem viele Freiheiten. Ich kann mich nicht erinnern, dass uns verboten wurde, Limonade zu trinken oder Süßigkeiten zu essen. Mit dem Fernsehen war es ähnlich. Das war für die Nachbarskinder wie im Paradies. Außer einmal, als wir bei meinem siebten Geburtstag einen Horrorfilm angeschaut haben. Das fanden dann vor allem die Eltern der Kinder weniger lustig.
„Meine ganze Kindheit
hindurch habe ich mir
gewünscht, blond, blauäugig
und hellhäutig zu sein.“
Meine Eltern waren sehr aufgeschlossen. Wir haben zum Beispiel immer Weihnachten gefeiert. Ich kann mich noch gut an das kleine Häuschen unterm Christbaum erinnern. Religion spielte in unserer Familie keine Rolle, war aber für mich als Kind ein großes Thema – ich wollte, wie die anderen Kinder auch, den Religionsunterricht besuchen und in die Kirche gehen, war bei der Jungschar und habe oft in der Kirche Blockflöte gespielt. Das ganze Programm eben. Das wurde von meinen Eltern und allen anderen akzeptiert. Einmal gab es Ärger, als ich mir eines schönen Tages die Hostie geholt habe. Da wurde vorgeschlagen, dass ich konvertiere, was natürlich nicht in Frage kam. Ich wollte einfach so sein wie alle anderen Kinder, dazu gehören. Mit meinem „dunklen“ Aussehen war ich immer unglücklich, fand mich nie hübsch. Ich war nicht diskriminiert, aber ich habe natürlich erlebt, dass bei uns anders gesprochen und anders gegessen wurde, dass andere Regeln galten. Meine Eltern haben einen Teil ihrer Tradition aus der Türkei mitgebracht, u. a. sehr strenge Moralvorstellungen, was sich aber im Laufe der Jahre sehr zum Positiven geändert hat.
„Mit türkischen Kindern
hatten wir nichts zu tun und
den Anspruch, so zu leben wie
österreichische Kinder.“
Wir waren bestimmt keine typische Migrantenfamilie. Damals gab es eine Handvoll türkischer Familien in Lustenau, die sich alle gekannt haben, die extrem konservativ und vom Land waren. Meine Mutter aber war eine „Städterin“ und brachte andere Vorstellungen in punkto Erziehung mit. Meine Eltern haben immer versucht, uns unseren freien Willen zu lassen. In der Community hatten wir als Kinder und Jugendliche deshalb auch keinen besonders guten Ruf. Meine Eltern waren aber voll integriert, obwohl sie wenig traditionell gelebt haben. Wir hatten im Gegensatz zu den extrem konservativen Auswanderern eine starke Verbindung zu unserer türkischen Verwandtschaft, die wir ein bis zwei Mal jährlich besucht haben. Im Winter sind wir nach Istanbul gereist, im Sommer sowohl nach Istanbul als auch in das kleine Heimatdorf meiner Großeltern am Schwarzen Meer. Noch heute reise ich zumindest einmal jährlich nach Istanbul, um meine riesige Familie zu besuchen. Meine Mutter hat zwölf Geschwister. Ich habe da sehr enge Beziehungen, Lieblingscousinen und Tanten, die mir sehr nahe stehen.
Die Reise in die Türkei im vollgestopften VW-Bus habe ich jedoch schwer ertragen. Wir Kinder haben im Auto immer irrsinnig viel gestritten. Furchtbar war für mich auch, nicht einen einzigen Sommer mit meinen Freundinnen in Vorarlberg verbringen zu können. Das Abschiednehmen war jedes Mal schlimm – sowohl in Lustenau als auch in der Türkei. Ich habe noch das Bild meines Großvaters vor mir, der immer geweint hat, wenn wir abgefahren sind. Dieses Nicht-verwurzelt-Sein, dieses Hin-und-her-Reisen und die damit verbundenen Abschiede waren immer schrecklich.
Ich habe zwar schlussendlich über Umwege Matura gemacht, wollte aber eigentlich ans Raimund-Theater, etwas in Richtung Kunst/Schauspiel machen. Nach zwei vergeudeten Jahren an der HAK haben mir meine Eltern den Wechsel ans BORG Dornbirn Schoren erlaubt. Mein Glück war, dass ich Gitarre spielen konnte und deshalb die Aufnahme geklappt hat. Das Gymnasium war für mich wie der Himmel auf Erden. Ich musste das Lernen erst lernen, was bei uns zu Hause schwierig war. Meine Mutter hatte sich inzwischen im Textilwarenhandel selbstständig gemacht und arbeitete hauptsächlich zu Hause. Es war immer Betrieb, in Ruhe lernen konnte ich nur nachts. Obwohl ich zu Hause schulisch keine Unterstützung hatte, war es meinen Eltern wichtig, dass wir Matura machten – was wir auch alle drei getan haben.
„Wir haben zuhause Türkisch
und Deutsch gesprochen.“
Mein Vater konnte schnell sehr gut Deutsch. Wir haben daheim sowohl Türkisch als auch Deutsch gesprochen. In der Schule hatte ich zwar keine Sprachprobleme, war aber schwach in Deutsch. Sprachförderung gab es damals keine und ich habe ewig gedacht, dass ich in Sprachen völlig untalentiert bin. Erst viele Jahre später habe ich gemerkt, dass ich, wie mein Vater, im Gegenteil doch ziemlich sprachbegabt bin.
Musik spielte bei mir immer eine große Rolle. Angefangen habe ich ganz klassisch mit Blockflöte. Es gab bereits damals eine Konkurrentin, die wie ich Flöte gespielt hat, später jedoch Klavier lernen durfte. Unbedingt wollte ich auch Klavier spielen, aber wir konnten uns das Instrument nicht leisten. Ich vergesse nie, wie ich das Mädchen bei ihrer ersten Klavierstunde durch eine Glastür gesehen und wahnsinnig beneidet habe. In der Hauptschule war dann Wolfgang Verocai mein Lehrer und Mentor. Ich spielte im Schulensemble zuerst Flöte, dann Gitarre, war bald auch am Jazzseminar der Musikschule Lustenau. Dort spielte ich zum ersten Mal in einer Band.
„Als kleines Kind noch
lässig, irgendwann
schrecklich: die „Baderei“
bei uns zu Hause.“
Wenn ich an besondere Ereignisse in meiner Kindheit denke, fallen mir zuerst die negativen ein: als wir beim Spielen am Rhein eine Leiche gefunden haben. Oder der tödliche Unfall einer Motorradfahrerin, den ich miterlebt habe. Ganz schlimm war, als meine Eltern das erste Mal ohne mich weggefahren sind. Trotz gelungenem Bestechungsversuch mit einer Barbie habe ich tagelang nur geweint. Eingeprägt hat sich mir auch, dass ich immer gerne lange Haare gehabt hätte, meine Mutter aber auf den kurzen Haaren bestand. Vermutlich weil es pflegeleichter war. Furchtbar gesehnt habe ich mich nach einem richtigen Bad, vor allem in der Pubertät. Wir hatten nur einen Waschkessel, der mittwochs und samstags eingeheizt wurde. Als wir dann endlich Besitzer eines Bades waren, sind wir ein halbes Jahr später umgezogen.
Die schönen Erinnerungen: Das paradiesische Dorf meiner Großeltern in der Türkei, der wunderbare unberührte Sandstrand, wo wir viele Wochen ohne Eltern und mit Kindern aus drei Generationen zusammen den Sommer verbracht haben, beaufsichtigt von zwei Tanten und Onkeln. Jeden Tag eine riesige Schüssel Pommes frites, die Kinder am Boden rundum, die süßen Brötchen am Morgen. Und auch meine herrlichen Geburtstagsfeste, immer maskiert, weil im Fasching, und Pippi Langstrumpf im Fernsehen am Sonntagvormittag.
Ich glaube, dass man Kinder unterstützen sollte, wie es nur geht, und versuchen sollte, ihre Talente zu entdecken und zu fördern.
Immer Musik, immer kurze Haare: Nihal Sentürk begann ihre musikalische Karriere mit der Blockflöte.
Auszug aus dem Buch „Kindheit(en) in Vorarlberg“, Bucher 2018 (2. Auflage). Erhältlich im Vorarlberger Kinderdorf (T 05574-4992-0), online und im Buchhandel.