Mütter und Töchter, Wurzeln und Flügel
So prägend und konfliktreich wie keine andere: In der Beziehung zwischen Mutter und Tochter manifestiert sich, wie wir die Welt erleben.
Passend zum Weltfrauentag knöpfte sich Claudia Haarmann-Paasche in der Reihe „Wertvolle Kinder“ ein spannendes Thema vor: die Beziehung zwischen Müttern und Töchtern. „Lauter Expertinnen“ seien im Publikum, so die Therapeutin, „weil jede von Ihnen eine Tochter ist“. Diesmal gastierte die Reihe des Vorarlberger Kinderdorfs beim Medienpartner Russmedia, der sich über ein volles Haus freuen durfte. „Klappen Sie die Ohren zu, wenn sie hören, was sie alles falsch gemacht haben“, so der Rat an die anwesenden Mütter. Es gebe „so viele Gründe, warum das Beste nicht hat passieren können. Jede Familie hat ihr eigenes Schicksal und jede Mutter gibt ihr Bestes“.
Schon der Fötus schlägt Purzelbäume vor Glück
Die frühe Kindheit sei nachhaltig prägend. Wie wir die Welt erleben, wie wir denken und fühlen, forme sich vor allem in der Beziehung zur Mutter. „Bereits im Mutterbauch entwickelt sich das Kind in permanenter Resonanz zur Mutter. Der Fötus lacht und schlägt Purzelbäume vor Glück, wenn es der Mutter gut geht, oder er zieht sich in Angst- und Stresssituationen zusammen.“ Kinder müssten von Anfang an spüren: „Es ist gut, dass du da bist.“ Die psychische Entwicklung des Kindes sei untrennbar mit der physischen Entwicklung verknüpft. Eine Mutter, die ihr Kind willkommen heißt, Ja zu ihrem Kind sagt, vermittelt Halt und Geborgenheit. So entsteht Bindung und das Gefühl: „Die Welt ist ein sicherer Ort, hier kann mir nichts passieren, ich werde so angenommen, wie ich bin.“
Frühe Kindheit prägt nachhaltig
In der frühen Kindheit werde das Verständnis von Liebe gelegt. Jedoch gebe es viele Gründe für eine Mutter, nicht zugewandt zu sein. Claudia Haarmann bezieht sich auch auf das sogenannte „Social Engagement System“, nachdem sich das Baby und (kleine) Kind in ständiger Resonanz zum Gesicht der Mutter entwickelt. Was passiert, wenn sich im Gesicht Stress widerspiegelt, dauerhafte Trauer, Depression? Wenn es abgewandt ist? „Für ein Kind ist es hochgradig problematisch, wenn das Gesicht der Mutter keine Freude über seine Existenz ausdrückt. Ein Kind muss spüren, dass es gut ist, dass es da ist.“
Mutter-Spezies ganz schön gefordert
In ihrer 20-jährigen Tätigkeit als Therapeutin habe sie „unglaublich viel Unverständnis und Sprachlosigkeit zwischen Müttern und Töchtern und einen dramatischen Anstieg an Kontaktabbrüchen“ erlebt. „Die Beziehung ist entweder gut und nah oder schwierig und von Distanz, Abwehr und Kälte geprägt. Dazwischen ist nichts.“ Eigentlich würden wir uns ein Leben lang nach dem einen Satz sehnen: „Schön, dass es dich gibt“, nach einer Mutter, „die es ermöglicht, dass man sich bei ihr niederlässt und entspannt“. Dabei ist die Mutter-Spezies ganz schön gefordert, ist von ihr doch extreme Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, Organisationstalent, Einfühlungsvermögen und Kreativität gefordert, um den Alltag zu managen. Die Journalistin und Autorin erlebt in ihrer Praxis, dass „je schwieriger und bedrohlicher die Außenwelt erlebt wird, desto intakter muss diese kleine Einheit funktionieren“.
Wenn die Zugewandtheit fehlt
Wenn eine Mutter, aus welchen Gründen auch immer, nicht feinfühlig auf die Bedürfnisse ihres Kindes reagieren kann, würden Töchter unterschiedliche Überlebensstrategien entwickeln: immer der Sonnenschein, immer die Starke, immer lieb und brav sein beispielsweise. „Es sind Strategien, die ein Kind entwickelt, um im Kontakt mit der Mutter zu sein. Wir tun alles, um nicht verlassen zu werden.“ Oft komme es dabei auch zu der gefährlichen Entwicklung der „Parentifizierung“: Das Kind bemuttert die Mutter.
Wurzeln und Flügel
Einerseits brauche das Kind starke Wurzeln, Urvertrauen, den Halt in der Familie, Schutz und Trost, andererseits aber auch „Flügel zum Fliegen“, „das Gefühl von Autonomie, das Gefühl, ein eigenes Wesen zu sein“. „Wir brauchen den sicheren Hafen, wo wir Mut und Kraft tanken können, damit wir hinterher die Welt erkunden können“, sagt Claudia Haarmann-Paasche. „Wurzeln und Flügel gehören zu unseren seelischen Grundbedürfnissen. Beide sind gleich wichtig.“
Auf Augenhöhe kommen: in den eigenen High Heels
Im Schnelldurchlauf erläuterte Hartmann auch noch die auf die frühe Kindheit folgenden Entwicklungsphasen in der Mutter-Tochter-Beziehung. Nach einer Zeit, in der sich Mädchen mit der Mutter identifizieren und genau so sein wollen wie sie, folgt die Pubertät, in der genau das Gegenteil der Fall ist. Stöckelte die kleine Madame noch kurz zuvor in den High Heels der Mama durchs Haus und kramte in ihrem Kleiderkasten, ist in dieser Phase plötzlich alles an der Mutter peinlich. „Nur nicht so werden wie sie – biiitttteeee“ lautet dann die Devise. „Es ist die Zeit, in der die Tochter versucht, auf Augenhöhe zu kommen. Es braucht die Ablehnung der Werte und Vorstellungen der Mutter, die Auseinandersetzung – durch sie wird die Tochter stark.“
Du bist gut so, wie du bist
Aber egal, was ist und kommt – immer bleiben Töchter mit ihren Müttern zutiefst verbunden. „Du bist gut so, wie du bist“ – mit diesem Credo können wir unsere coolen, kleinen, großen, wilden oder schüchternen Mädchen wohl am besten begleiten. Denn eines wünschen sich unsere Töchter unisono: dass wir stolz auf sie sind.
Autorin: Christine Flatz-Posch
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Die Vortragsreihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs wird in Kooperation mit dem ORF Vorarlberg und Russmedia durchgeführt und vorwiegend vom Land Vorarlberg/Fachbereich Kinder und Jugend finanziert. Infos und Vorträge zum Nachhören in der Vokithek.
Der Vortrag wurde in Kooperation mit Atrium durchgeführt.