Nur noch kurz die Welt retten
„Wertvolle Kinder“: Rebell, Lebenskünstler oder Weltverbesserer – unsere Position in der Geschwisterreihe beeinflusst mit, wie wir sind.
Groß war der Andrang beim letzten Vortrag der 14. Auflage „Wertvolle Kinder“. Das Thema „(Keine) Geschwister“ lockte zahlreiche Interessierte ins Vorarlberger Kinderdorf Kronhalde. Kein Wunder, denn laut der Sozialpädagogin Cornelia Mack trägt die Geschwisterfolge neben vielen anderen Faktoren, u. a. Familienklima, Grundtemperament oder erlebte Traumata, wesentlich zur Persönlichkeitsprägung bei: „Die Reflexion der eigenen Geschwisterbeziehung kann dabei helfen, sich selbst und manche Verhaltensweisen besser zu verstehen.“
Was man über Geschwisterfolgen wissen muss
Um den Platz richtig zu bestimmen, muss man allerdings einiges wissen: Dass eine neue Reihe beginnt, wenn der Altersunterschied zwischen den Geschwistern vier Jahre und mehr beträgt. Dass der Tod eines Kindes nichts an seiner Stellung in der Geschwisterreihe ändert oder dass bei Mehrlingen die Reihenfolge der Geburt die Position bestimmt. In kinderreichen Familien wiederholt sich die Reihe nach dem vierten Kind, das heißt das fünfte Kind ist wieder das erste und beginnt eine neue Folge.
Die „Ersten“: Versuchskaninchen und Vorausgeher
Was macht denn nun die einzelnen Geschwisterpositionen aus? Das erste Kind sei Vorausgeher, Erwartungserfüller, immer einen Schritt vorne weg. „Erstgeborene leben nach dem Motto: Ich muss den Weg frei machen“, erläuterte die Stuttgarter Autorin. Die „Kronprinze(ssinne)n“ seien perfektionistisch, schuldbewusst und fühlten sich immer zuständig. „Ich muss mich drum kümmern, sonst passiert eine Katastrophe“, so die Grundhaltung der „Großen“, die auch „Versuchskaninchen“ ihrer – in der neuen Rolle noch wenig routinierten – Eltern sind. Wer als erstes Geschwisterkind das Licht der Welt erblickt, für den sei das Leben eine „ernste Angelegenheit“. Als Verantwortungsträger seien sie dann auch als Erwachsene häufig in mächtigen Positionen anzutreffen. „Alle amerikanischen Präsidenten waren Erstgeborene – bis auf Trump“, fügte Mack als Beispiel an.
Die „Zweiten“: Rebellische Herzensbrecher
Diese Vormachtstellung wird vom zweiten Kind gebrochen, das für die vielzitierte „Entthronung“ des erstgeborenen Kindes sorgt. Zweitgeborene erleben sich „im Wettkampf“, sie sind Rebell, Träumer oder Lebenskünstler und pfeifen im Gegensatz zu ihrem älteren Geschwisterkind auf Regeln und Ordnung. „Es darf mir gut gehen“ lautet die Devise der Zweitgeborenen, die kämpferisch, trickreich und begeisterungsfähig sind. „Sie sind gute Vermittler und Herzenseroberer, voller Ideen, aber auch gelassen und auf die eigenen Bedürfnisse bedacht“, so Cornelia Mack vor einem sehr aufmerksamen Publikum.
Die „Dritten“: auf Sonderwegen
Und die Dritten? Drittgeborene seien häufig sehr einsam, „weil sie nicht wissen, wo sie hingehören“. „Sie fühlen sich als Trittbrettfahrer und Außenseiter, sind manchmal auch Tagträumer, gehen aber auch innovative Sonderwege, sind kreativ, chaotisch, sensibel und gutmütig.“ Ehrgeiz ist nicht das, was Drittgeborene antreiben würde – vielmehr seien sie einfühlsame „Kümmerer“, die keinen Führungsanspruch erheben. Eltern von mehreren Kindern riet die Pädagogin, ihre Drittgeborenen nicht aus den Augen zu verlieren.
Mittelpunkt des Universums
Die Jüngsten erleben sich als „mittendrin“. Sie sind – sofern willkommen – fröhlich und laut, müssen sie sich doch bemerkbar machen. Die Jüngsten einer Geschwisterfolge würden in großen Netzwerken denken und leben, ganz anders als Einzelkinder, die vor allem eine Erfahrung machen: allein zu sein. Einzelkinder fühlten sich als Mittelpunkt des Universums, würden zu Alleingängen neigen und seien wenig peergruppenorientiert. Oft seien sie altklug, besserwisserisch und kaum kompromissbereit. „Fast jedes Kind wünscht sich Geschwister“, so Mack, die auch festhält: „Das Gefühl der Einsamkeit kann verletzend und bedrückend sein. Wichtig ist, dass das Kind weiß, warum es ein Einzelkind ist.“
Eine neue Runde der Reihe „Wertvolle Kinder“ startet im Herbst.
Autorin: Christine Flatz-Posch
Die Vortragsreihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs wird in Kooperation mit dem ORF Vorarlberg und Russmedia durchgeführt und vorwiegend vom Land Vorarlberg/Fachbereich Kinder und Jugend finanziert. Infos und Vorträge zum Nachhören in der Vokithek.