"Wertvolle Kinder"-Vortrag: Kinder psychisch kranker Eltern
So können wir Kindern psychisch kranker Eltern helfen
„Die Diagnose ist nicht das Wichtigste. Viel wesentlicher sind Empathie, Einsicht und Kooperationsfähigkeit.“ Mit dieser Aussage eröffnete die Psychologin und Psychotherapeutin Polina Hilsenbeck ihren Vortrag in der Reihe „Wertvolle Kinder“, die zum Auftakt im gut besuchten ORF Landesstudio gastierte. Außerdem gelte es zu klären, ob stabile Bezugspersonen wie Nachbarn oder Lehrpersonen verfügbar sind. Denn oft ist laut der Expertin ein „problematisches Pairing“ gegeben. „In vielen Fällen hat der Partner einer psychisch kranken Mutter eine Suchtproblematik und kann als Vater nicht erfüllen, was die Kinder in so einer Situation brauchen.“
Gräben überwinden
Im Wissen über die nachhaltigen Belastungen und lebensprägenden negativen Auswirkungen für Kinder, die mit einem psychisch erkrankten Elternteil aufwachsen, appellierte die Referentin vor allem für eine stärkere Vernetzung des Hilfesystems. „Ich sehe meine Aufgabe vor allem auch darin, Gräben zwischen den Hilfs- und Gesundheitseinrichtungen zu überwinden. Es braucht zum Wohl der betroffenen Kinder viel mehr Kooperation beispielsweise zwischen Sozialpsychiatrie, Suchthilfe und Kinder- und Jugendhilfe.“
Bindungsstärkung so früh wie möglich
Die Psychotherapeutin, die sich als Mitbegründerin des Frauentherapiezentrums München einen Namen machte, beschrieb zahlreiche psychiatrische Störbilder von der Postpartalen Depression bis zu zyklisch-affektiven Erkrankungen, Schizophrenie, Posttraumatischen Belastungsstörungen sowie Persönlichkeitsstörungen wie Borderline. „Immer beeinträchtigen psychische Erkrankungen die Bindungs- und Erziehungsfähigkeit von Eltern, da sie zu emotionaler Instabilität, einem ständig wechselnden Interaktionsverhalten, zu Angst und Realitätsverlust führen“, hielt Hilsenbeck fest. Ein Ausbau der Frühen Hilfen sei besonders wichtig, um die Bindungskompetenz zu stärken. „Je früher wir entwicklungs- und bindungsfördernde Angebote wie beispielsweise SAFE einsetzen, umso besser.“
Mehr Vernetzung und Austausch
„Ist das erblich?“, sei oft die erste Frage und große Sorge betroffener Eltern. „Wir wissen aus der Epigenetik und Stressforschung, dass Risikoprofile und genetische Muster vererbt werden.“ Trotz dieser erblichen Muster nannte sie Armut, Gewalt, Bildungslücken, eine Fluchtbiografie, frühe Verluste und eine Behinderung als wesentlichere Auslöser. Ein genaues Hinschauen von uns allen ist laut der Lehrbeauftragten und Autorin ein Gebot der Stunde – ob als Nachbarin oder Verwandter, in der Kinderbetreuung, im Kindergarten oder der Schule. „Viele Kinder, die die Schule verweigern, pflegen daheim sucht- oder psychisch kranke Eltern“, berichtete die Vortragende aus ihrer jahrzehntelangen Praxis. „Es braucht mehr Austausch und Vernetzung, um einzuschätzen, was die Kinder brauchen und ob eine Inobhutnahme nötig ist.“
Nach Ressourcen suchen
In der Zusammenarbeit mit Eltern steige die Wahrscheinlichkeit, dass Türen aufgehen, wenn die Familie Unterstützung bekommt und die Kinder Räume, um ihre Fähigkeiten zu entwickeln. „Jede Familie und Nachbarschaft hat Ressourcen. Es macht mehr Spaß, nach Kompetenzen und Fähigkeiten zu suchen. Wir gehen davon aus, dass Eltern das Beste für ihre Kinder wollen und tun – auch wenn das sehr schwerfällt.“ Dennoch und gerade deshalb eröffne ein ressourcenorientierter Blick auf Familien und ihre Stärken betroffenen Kindern die Chance, ihre Verantwortung abgeben und wieder Kind sein zu können.
Autorin: Christine Flatz-Posch
Die Reihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs wird in Kooperation mit Russmedia und dem ORF Vorarlberg durchgeführt und vom Land Vorarlberg – Fachbereich Jugend und Familie – unterstützt. Über 80 Vorträge können in der Mediathek des Vorarlberger Kinderdorfs nachgelesen und nachgehört werden.
„Kinder psychisch kranker Eltern“
Vortrag von Polina Hilsenbeck. , Psychologin und Psychotherapeutin, Mitbegründerin des Frauentherapiezentrums (FTZ) München, Autorin, Supervisorin und Lehrbeauftragte, Uffing.