Wertvolle Kinder-Vortrag des Vorarlberger Kinderdorfs: Leben mit FASD (Fetale Alkoholspektrumstörung)
„Jeder Tropfen Alkohol schadet dem Kind“
„Alkohol während der Schwangerschaft ist gefährlicher als Kokain oder Heroin.“ Mit dieser Aussage startete die Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde sowie Allgemeinmedizin ihren Vortrag in der Reihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs. „Die Mutter gibt Alkohol über das Blut eins zu eins an das Kind weiter. Das Kind braucht aufgrund der noch nicht ausgereiften Leber zehn Mal länger als die Mutter, um den Alkohol abzubauen“, so Leodolter-Stangl. „Alkohol ist ein Zellgift und gleichzusetzen mit Contergan oder anderen Medikamenten, die während der Schwangerschaft nicht verschrieben werden.“ Noch sei diese Tatsache jedoch nicht im Bewusstsein der Bevölkerung, und teils auch nicht in jenem der Ärzteschaft angekommen.
Viele Betroffene, wenig Diagnosen
Dabei würden in Österreich jährlich gut 1500 Kinder mit schwerwiegenden irreversiblen und lebenslangen Folgeschäden aufgrund von mütterlichem Alkoholkonsum auf die Welt kommen, betonte die Leiterin der FASD-Ambulanz der Kinder- und Jugendpsychiatrie Oberwart. Die Fetale Alkoholspektrumstörung (FASD) ist ein Sammelbegriff für eine Reihe von Schädigungen eines Kindes, die durch Alkoholkonsum während der Schwangerschaft verursacht wurden. Fetale Alkoholspektrum-Störungen gelten in Deutschland und Österreich Schätzungen zufolge als die häufigste aller angeborenen Behinderungen. „Es gibt viele Betroffene, aber wenig Diagnostizierungen. Die Menschen wissen gar nicht, warum sie sich so plagen und so schlecht klarkommen im Leben.“ Aufzuklären und mehr Bewusstsein zu schaffen, ist Ruth Leodolter-Stangl aus zwei Gründen ein Herzensanliegen: „Einerseits ist es mir als Kinderärztin und aufgrund meiner Erfahrungen in der Praxis wichtig, andererseits ist meine Nichte, die heute 22 Jahre alt ist, selbst eine Betroffene.“
Alkohol: ein gesellschaftliches Problem
„In der Wahl seiner Eltern kann man nie vorsichtig genug sein.“ Dieses Zitat verliert angesichts der Zahl von Kindern, die jährlich mit FASD geboren werden, seine humoristische Komponente. Alkohol sei ein gesamtgesellschaftliches Problem, so die Expertin. Mit einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Konsum von über zwölf Litern reinen Alkohols pro Jahr rangiert Österreich deutlich über dem weltweiten und europäischen Durchschnitt. Nur in wenigen anderen Ländern wie Bulgarien wird noch mehr Alkohol getrunken. „Es ist ein großer Druck für Schwangere, nicht zu trinken, weil viele noch meinen, dass ein Gläschen schon nicht schadet. Es sollten keine Rechtfertigungen nötig sein, nicht zu trinken.“ Dabei sind die gravierenden negativen Folgen für das Kind, was die kognitive, körperliche, soziale und emotionale Entwicklung anbelangt, gut erforscht. Schwieriger sei es laut Leodolter-Stangl mit der Diagnostik. „Die Kinder kommen relativ normal auf die Welt. Oft wird erst später klar, dass etwas nicht stimmt.“
Frühe Diagnostik wichtig
Auch die Symptome können sehr unterschiedlich ausfallen, gravierend sind sie alle: Betroffene Kinder weisen laut der Medizinerin Wachstumsauffälligkeiten wie einen kleineren Kopf auf. Sie haben Lernschwierigkeiten, Entwicklungs- und neurologische Auffälligkeiten, Epilepsie, ADHS oder eine verminderte Intelligenz – das alles in unterschiedlichen Ausprägungen und Kombinationen. Vor allem ein Symptom lasse auf FASD schließen: die fasziale Dysmorphie, die Auffälligkeiten im Gesicht mit sich bringe, die sich nach dem Volksschulalter jedoch wieder auswachsen. „Für eine passende Hilfe ist es enorm wichtig, dass frühzeitig eine Diagnostik erfolgen kann. FASD kann nicht geheilt werden, aber zumindest können Betroffene dabei unterstützt werden, ihr Leben zu bewältigen“, betont die Expertin.
Aufklärung: Luft nach oben
Sie will die Augen für eine einfache Tatsache öffnen: „Wenn man in der Schwangerschaft keinen Alkohol trinkt, kommen Kinder nicht mit FASD auf die Welt.“ Der Appell der engagierten Ärztin: Mehr Information, Bewusstseinsarbeit und Prävention, wie zum Beispiel Workshops für Jugendliche an Schulen. „Das wirkt. Bei den Jungen gibt es schon ein Umdenken: Heute gilt auch für viele junge Männer, die Väter werden wollen: Null Alkohol.“ Klare Worte und mehr Aufklärung würde sich Leodolter-Stangl auch von Ärzt:innen, Hebammen und in Spitälern wünschen. „Da ist noch viel Unwissen da und deutlich Luft nach oben. Wir müssen den Mut haben, darüber zu reden.“
Leben mit FASD
Den ganzen Vortrag von Dr.in Ruth Leodolter-Stangl,
FA für Kinder- u. Jugendheilkunde/Allgemeinmedizin,
FASD-Ambulanz KJP Oberwart, gibt’s zum Nachhören in der Mediathek des Vorarlberger Kinderdorfs.
Podcast-Tipp: „Chaos im Kopf“ von Wolfgang Werminghausen
Er ist Vater von 4 Kindern, darunter 2 Pflegekinder (Clara & Luise) mit Fetalem Alkoholsyndrom (FAS), die inzwischen erwachsen sind. Er möchte seine Erfahrungen als Pflegevater von Kindern mit FAS(D) sowie als Psychologe, Psychotherapeut und Coach weitergeben. Zum PODCAST »
Blog-Tipp: Die Zwillinge Clara und Luise sind selbst von fetalem Alkoholsyndrom (FASD) betroffen. In ihrem Blog teilen sie ihre persönlichen Erfahrungen und sprechen offen über das Leben mit FASD. Zum BLOG »
Die Reihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs wird in Kooperation mit Russmedia und dem ORF Vorarlberg durchgeführt und vom Land Vorarlberg – Fachbereich Jugend und Familie – unterstützt.